Ein Supermarkt wurde vom Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart dazu verurteilt, seine Videoüberwachung der öffentlich zugänglichen Geschäftsbereiche einzustellen oder gesetzeskonform umzusetzen. Das Urteil stammt vom 18.05.2021 (Aktenzeichen 12 U 296/20).
Was war geschehen?
Ein Kunde betrat im März 2018 (vor Geltung der DSGVO) einen Supermarkt und stelle fest, dass er während seines Einkaufs von Videokameras überwacht wurde. Ein Hinweisschild fand sich dort wohl nicht. Mit anwaltlicher Hilfe mahnte der Kunde den Supermarktbetreiber ab und forderte ihn auf, künftig nur noch gesetzeskonforme Videoüberwachung zu betreiben und ihm ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000 EUR zu zahlen. Der Supermarktbetreiber wies die Forderungen des Kunden zurück.
1. Instanz Landgericht
Vor dem Landgericht Stuttgart verlor der Kunde mit seiner Klage (Urteil vom 22.07.2020 – 21 O 82/19). Die Einzelrichterin wies darauf hin, dass sich Kunden in einem öffentlich zugänglichen Supermarkt in ihrer Sozialsphäre befänden und lediglich unverfängliche Vorgänge, wie das Einkaufen, betreffe. Einen Schadensersatzanspruch könne der Kunde ebenfalls nicht geltend machen, weil die Gesetzesnorm für den Ersatz immateriellen Schadens erst am 25.05.2018 in Kraft getreten sei.
2. Instanz Oberlandesgericht
Der Kunde lies das verlorene Urteil nicht auf sich beruhen und ging in Berufung. Mit dem jetzt vorliegenden Urteil drehte sich das Blatt für den Kunden. Das OLG urteilte nämlich, dass der Supermarktbetreiber sehr wohl illegale Videoüberwachung im März 2018 betrieben habe. Einen Schmerzensgeldanspruch lehnte das Berufungsgericht aber weiterhin ab.
Lehren für den Datenschutz
An sich wäre das Urteil nicht besonders spannend gewesen, aber das OLG erklärt sich zu drei wichtigen Streitthemen im Datenschutz:
a.) Videoüberwachung nur mit konkretem Zweck
Der Supermarktbetreiber hatte angegeben, dass die Videoüberwachung erforderlich sei „zur Gefahrenabwehr“ und „zur Strafverfolgung“. Dies reichte dem Gericht aber nicht.
Neben den Voraussetzungen des § 4 BDSG müsse die Videoüberwachung verhältnismäßig sein, daher prüfte das Gericht auch die Erforderlichkeit und die Geeignetheit. Dabei müssten auch weniger in die Persönlichkeitsrechte eingreifende Maßnahmen geprüft werden (wie z. B. eine andere Aufteilung des Raumes und der Waren, Spiegel, Kontrollgänge des Personals).
Der konkrete Zweck der Datenverarbeitung ist hinreichend präzise zu benennen. Eine bloße Aufführung des Zwecks als „zur Gefahrenabwehr“ oder „zur Strafverfolgung“ genügt diesem Erfordernis nicht.
OLG Stuttgart
Nun klärt uns das Berufungsgericht leider nicht auf, was stattdessen hätte angegeben werden müssen. Das Gericht verweist lediglich darauf, dass diese Zwecke im Rahmen eines Verzeichnisses der Verarbeitungstätigkeiten (Art. 30 Abs. 3 DSGVO) auch dokumentiert sein müssen, und zwar schriftlich oder elektronisch.
Ergo: Es gilt mal wieder der Spruch: „Wer schreibt, der bleibt“
b.) Beweislast
Während des Verfahrens war auch streitig, wer was beweisen muss: Muss der Kunde die Illegalität nachweisen oder der Supermarktbetreiber die Legalität?
Um dies zu lösen, verwies das Berufungsgericht auf die Rechenschaftspflicht im Datenschutz, Art. 5 Abs. 1 DSGVO. Demnach muss der Verantwortliche (also alle Unternehmen) die Rechtmäßigkeit jeglicher Datenverarbeitung nachweisen können. Die Vorschrift gilt primär gegenüber den Aufsichtsbehörden im Datenschutz. Das OLG Stuttgart meint dazu aber:
(Es) ist nicht ersichtlich, dass diese Pflicht nicht auch gegenüber dem von der DSGVO geschützten Bürger gelten soll.
OLG Stuttgart
Damit öffnet das Gericht ein wenig die Büchse der Pandorra. Denn damit könnte jeder Bürger einfach eine Datenschutzverletzung einer Firma behaupten und im Rahmen eines Gerichtsverfahrens muss dann die Firma beweisen, dass alles legal gemacht wird.
c.) Nichtvermögensschäden
Als letztes beschäftigte sich das Berufungsgericht mit der Frage, wann eine betroffene Person im Datenschutz einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz hat.
Als Nichtvermögenssschaden durch Verstöße gegen das Datenschutzrecht kommen etwa die öffentliche Bloßstellung durch Zugänglichmachung personenbezogener Daten für Dritte, soziale Diskriminierung, Hemmung in der freien Persönlichkeitsentfaltung, Reduzierung des Menschen auf ein Datenverarbeitungsobjekt, psychische Auswirkungen bei der betroffenen Person infolge des Datenschutzverstoßes oder Identitätsdiebstahl bzw. -betrug in Betracht.
OLG Stuttgart
Was ist zu tun?
Wenn Sie in Ihren Unternehmen Videoüberwachung betreiben möchten sind mindestens die folgenden Punkte abzuarbeiten:
- Definition aller konkreten Zwecke, warum die Videoüberwachung so und nicht anders notwendig ist und warum keine anderen Maßnahmen zu gleich guten Ergebnissen kommen.
- Erstellung eines Verzeichnisses der Verarbeitungstätigkeiten, in dem der Prozess der Videoüberwachung ordnungsgemäß und vollständig beschrieben ist.
- Hinweisschilder am frühest möglichen Punkt der örtlichen Aufzeichnung, um die betroffenen Personen zu informieren.
- Limitierung der Speicherdauer (zwischen 24 und 72 Stunden) der Aufnahmen
- Ggf. Durchführung einer Datenschutz-Folgenabschätzung
- Wenn eine solche Datenschutz-Folgenabschätzung durchgeführt werden muss, muss auch ein Datenschutzbeauftragter bestellt werden
Rechtsanwalt Giel steht Ihnen hierzu gerne beratend zur Verfügung. Ab besten vereinbaren Sie jetzt gleich unverbindlich ein Telefonat, um Ihr Anliegen zu besprechen. Klicken Sie hierzu rechts unten auf den Button „Telefontermin vereinbaren“.
Falls Sie einen geeigneten Datenschutzbeauftragten bestellen möchten, schauen Sie mal bei datamog vorbei.
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